BERLIN
Der Kanzler schwieg
BONN
Nach neun Stunden „Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung“ tappte die 80jährige CDU-Seniorin Dr. h. c. Helene Weber durch das Gestühl des Deutschen Bundestages nach vorn zur Regierungsempore, wo der 85jährige Konrad Adenauer wächsernen
Gesichts auf seinem Kanzlerstuhl saß: „Gehen Sie nach Haus, Herr Bundeskanzler, Sie sehen immer noch schlecht aus. Hier in dieser Berufsschule können Sie nichts mehr lernen.“
Kaum zehn Minuten später ging Konrad Adenauer. Nicht ein einziges Mal hatte er an diesem Tage – dem letzten Mittwoch – das Rednerpult des Bonner Parlaments betreten müssen. Niemand hatte ihn gedrängt, dergleichen zu tun.
Quelle: DER SPIEGEL 51/1961 – BERLIN – Der Kanzler Adenauer schwieg
Acht Tage vorher noch, als Konrad Adenauer krank in Rhöndorf daniederlag, hatten die Sozialdemokraten sich strikt geweigert, ohne ihn über die Regierungserklärung zu debattieren. „Erhard ist nur ein Sitzungs-Vizekanzler, der in die Dinge nicht eingeweiht ist“, klagte SPD-Vize Herbert Wehner. „Wir müssen schon darauf drängen, daß der Kanzler sich selbst äußert“